James Francis Gill | Box-Set Women and Men in Car

James Francis Gill | Women and Men in Car (Mappenwerk)

Wessen Bilder sind das?“ schallte die Stimme von Felix Landau, einem der einflussreichsten und erfolgreichsten Galeristen der USA durch den Raum. Der junge James Francis Gill hatte gerade vier seiner Werke, die er aus Texas mit nach Los Angeles gebracht hatte, an der Wand abgestellt. Auf der Suche nach einer Galerie war Gill 1962 in L.A. auf dem La Cienega Boulevard in Landaus Galerie gelandet. Landau bat Gill in sein Büro. „Woher kommst du?“, wollte Landau wissen. „Aus Tahoka, Texas“, antwortete Gill. „Niemand kommt aus Tahoka, Texas“, erwiderte Landau völlig erstaunt.

Und vor allem niemand mit derart außergewöhnlichen Gemälden im Gepäck. Er sah in den Arbeiten von Gill Einflüsse von Gustav Klimt, Egon Schiele sowie Francis Bacon – allesamt Künstler mit denen er zu dieser Zeit handelte. Neben einem Akt hatte Gill drei verschiedene Werke von Frauen die aus Automobilen stiegen bei sich – die ‚Women in Cars‘. Diese Begegnung und das geschulte Auge von Felix Landau veränderten das Leben von Gill mit einem Schlag völlig. Landau nahm ihn unter Vertrag und bezahlte ihm ein Studio inklusive Malutensilien. Der junge Künstler performte dermaßen, dass Landau noch im Dezember desselben Jahres eine Einzelausstellung für Gill in New York organisierte. Daraus resultierte der Ankauf zweier Werke durch das Museum of Modern Art, New York (MoMA) – zum einen das bekannte „Marilyn Triptych“ (1962) sowie das Werk „Woman in Striped Dress“ (1962), welches eine Frau zeigt, die aus einem Auto steigt.

Der Rest ist Geschichte. Gill wurde innerhalb weniger Monate zu einem Pop-Star. Hollywoodgrößen der damaligen Zeit wie u.a. Dennis Hopper, John Wayne und Tony Curtis sammelten seine Kunst oder wurden von ihm portraitiert. Seine Kunst gefiel. Es war „in“ einen Gill zu haben. Im Jahr 1967 stellte William Seitz, Kurator des MoMA, eine umfangreiche Ausstellung mit den 20 besten jungen Malern der USA zusammen. Es war der amerikanische Beitrag zur Biennale in Sao Paulo. Unter dem Namen „Environment USA: 1957-1967“ wurde James Gill u.a. zusammen mit Werken von Edward Hopper, Andy Warhol, Tom Wesselmann und Roy Lichtenstein gezeigt.

Anfang und Mitte der 60er-Jahre schuf Gill eine Serie besonderer Motive von Frauen und Männern. Ob nun Humphrey Bogarts Frau (die Schauspielerin Lauren Bacall) oder Joseph P. Kennedy, der Vater von John F. Kennedy – ja selbst Gills damalige Ehefrau, die Schauspielerin Antoinette Bower – sie alle hatten auf diesen Werken eines gemeinsam: Gill hielt den für sie wichtigen Moment, als sie aus dem Fahrzeug stiegen und die gesamte Presse mit Blitzlichtgewitter bereitstand, in seinen Gemälden fest.

Gill traf mit dieser Serie den damaligen Zeitgeist und trifft ihn auch noch heute. Eine falsche Bewegung, einmal nicht gelächelt – die Fotografen warteten auf Missgeschicke. Am nächsten Morgen wusste es dank New York Times, Washington Post oder L.A. Times die ganze Welt. Gill konzentrierte sich bei seinen Werken jedoch auf das Positive. Er wollte den Augenblick einfrieren, wenn die Person die Intimität des Autoinneren verlässt und sich der Öffentlichkeit zeigt. Der amerikanische Schriftsteller William Inge kommentierte einst: „Die Gemälde von James Gill sind so aktuell wie die Morgenzeitung; aber das Wichtigste, was wir in diesen Gemälden entdecken – was die Zeitung übersieht – ist ein intimer Blick auf die Personen, die in diesen Titelstories die Hauptrolle spielen.“

Unter dem Eindruck dieser Arbeiten Gills Mitte der 60er-Jahre stand auch die US-amerikanische Schriftstellerin und Kuratorin Lucy R. Lippard, als diese ihr 1966 in der Originalausgabe erschienenes Buch „Pop-Art“ verfasste: „James Gill versucht mit Hilfe von Farbe und Fettkreiden Menschen schnappschussartig in bestimmten Situationen festzuhalten. […] Auf diese Weise hat er Pop-Themen wie Marilyn Monroe, John Wayne oder Präsident Kennedy im flüchtigen Stil des Nachrichtenbildes portraitiert.“ Dazu ergänzt Henry J. Seldis, Kunstredakteur der Los Angeles Times, im Jahr 1965: „Gill entfernt die Masken von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und enthüllt ihre verschwommene Anonymität mit einem starken Impuls auf unser Bewusstsein.“

James Gill hatte seinen Durchbruch mit Marilyn Monroe. Sein Œuvre besticht jedoch mit weitaus mehr. Ein Blick in die Sammlungen bedeutender Museen verdeutlicht dies. Das MoMA hat neben dem Marilyn Triptychon auch zwei Gemälde aus der Serie „Women in Cars“ in seiner Sammlung. Das Whitney Museum of American Art, New York hat neben einem 1964 entstandenen Aktbild eine Bronzeskulptur Gills von 1963 mit dem Titel „Woman in Brown Car“ in seiner Sammlung, welche ebenfalls das bereits beschriebene Sujet von Frauen in Automobilen aufgreift. Das Smithsonian American Art Museum, Washington D.C. hat neben weiteren Arbeiten mit dem Werk ‚Nude on a Red Sofa‘ ein Aktbild Gills in der Sammlung, welches von den Einflüssen und der Technik den Werken ähnelt, die Gill 1962 in Landaus Galerie mitbrachte. In Europa hat das Museum Moderner Kunst der Stiftung Ludwig in Wien mit „SuccubusD“ (1968) ein stark politisch geprägtes Motiv aus Gills „Political-Prisoner“-Serie im Bestand, ebenso wie die National Portrait Gallery in Washington D.C. 

Da sich die Werke Gills aus den 60er-Jahren fast ausschließlich in Museen oder privaten Sammlungen befinden, hat sein Verleger mit der „Collector’s Edition“ eine neue Serie von besonderen Editionen geplant. Bereits im Herbst 2019 erschien mit dem „Marilyn Triptych II“ ein dreiteiliges Box-Set der besonderen Art, limitiert auf 50 Exemplare. Im Jahr 2020 werden weitere Serigrafien der „Collector’s Edition“ zu veröffentlichen: „Der Grundgedanke dahinter ist, diese besonderen historischen Motive, die der Grundstein für Gills Karriere sind, in Form von streng limitierten Serigrafien an den Kunstmarkt weiterzugeben. Mit den „Women in Cars“ und „Men in Cars“ überzeugte Gill in den 60er-Jahren Felix Landau und schaffte einen grandiosen Einstieg in die Kunstwelt.“ Das Mappenwerk “James Francis Gill Women and Men in Car” ist ein weiterer grandioser Schritt, Gills Frühwerk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen,

Gills Leinwandarbeiten und Serigrafien werden neben dem Motiv auch aus profan wirkenden Gründen gesammelt. Zum einen wegen seiner kunsthistorischen Bedeutung die ihm als Mitbegründer der Pop Art zukommt. Zum anderen auch wegen seiner bewegten Lebensgeschichte, die zuweilen an Tom Hanks in ‚Forrest Gump‘ erinnert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitierte im März 2018 eine Galeristin gar mit der Aussage, dass „Gill die abgefahrenste Biographie hat, die man sich nur vorstellen kann“. Gill zieht bei Vernissagen die Besucher an – egal ob in Glasgow, London, auf Mallorca oder in München. Gewidmet wird im Minutentakt. Begierig werden seine Storys aus 85 Lebensjahren aufgesaugt. Nahezu 60 Jahre ist es nun her als Gill in Landaus Galerie die ‚Women in Cars‘ abstellte und in dessen Büro saß. Zu diesem Zeitpunkt konnte Landau nicht erahnen, dass der Cowboy aus Tahoka, Texas viele Jahrzehnte später fast alle seiner berühmten Pop-Art-Weggefährten überleben würde.